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Channel: Life Life – frohfroh – electronic music from leipzig
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Afterhour #5 Liebe, Techno, Leipzig – Rosswitta

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Für die Mai-Ausgabe unserer Afterhour-Reihe traf sich Antoinette Blume mit Rosswitta. Seit zehn Jahren arbeitet sie an verschiedenen Stellen des Nachtlebens.

Rosswitta, die eigentlich Caro heißt, ist auf Anhieb cool. Sagt man cool noch? Eine Person wie ich hat die Rhetorik von vor zehn Jahren noch nicht ganz abgelegt. Caro also. Berliner Schnauze gepaart mit dem sexiest Zwinkern you can imagine, wenn sie dir einen Pfeffi reicht. Und sich auf Einladung auch einen einschenkt, das kommt schon ab und zu mal vor – und das verheißt allermeistens einen vorzüglichen Abend. 

Steckbrief
Clubnest? Wilde Renate (ehemalig) + Institut für Zukunft (neuerdings)
Liebster Straßenzugnachbar in Berlin? Sven Marquardt
Leipzig oder Berlin? Leipzig

Wasser statt Gin

Caro kenne ich aus dem Institut fuer Zukunft und vom Frisieren. Denn irgendwo müssen die (restlichen) Hipsterkids (ich bin für den Ausdruck eigentlich vehement zu alt) ihre Haare stylen lassen – das tun sie entweder bei Caro oder DIY mit der Trimmmaschine und Küchenschere zu Hause. Ich bevorzuge ersteres, auch um mit Caro über dies und das zu schnacken und die letzten Nächte und Tage auszuwerten (ja, auch das muss manchmal getan werden) und gezwungenermaßen den Kopf und den Körper mit Wasser und Worten statt Gin und Unfug zu beleben.

Mit 13 auf der Loveparade

Die Berlinerin hat die 30 schon ein bis zwei Jährchen geknackt und fühlt sich nirgends so wohl wie im Nachtleben. Von Berlin aus ging es vor einem Jahr nach Leipzig, von der Wilden Renate ins Berghain Leipzigs (um diesen Klischeeausdruck auch einmal zu bedienen, pardonnez-moi), dem Institut fuer Zukunft. Seit zehn Jahren arbeitet sie entweder an der Garderobe, an der Tür, hinter der Theke oder als Putzi; unter freiem Himmel, in Clubs, Bars oder auf Festivals. Zuletzt sechs Jahre auf der Fusion – die Kreativpause der Veranstalter in diesem Jahr bedeutet also auch Kreativurlaub für ”meine“ Caro, worüber ich ganz froh zwecks Sommergesellschaft bin; sie wird es missen.

Theke als zweiter Mittelpunkt im Club

Das Arbeiten am Menschen und mit Menschen ist ihr das Schönste, sagt sie. ”Gerne neue Leute kennenlernen“, das sagt jeder zwar mal so einfach, klingt kosmopolitisch – wirklich allen neuen Leuten offen begegnen, ihnen einen angenehmen Abend gestalten, zwinkern, hinhören, non-verbal über Lautstärkepegel weit-ab-jenseits von mittellauter Meditationsmusik im Trakt II oder Fremdsprachenkenntnissen aller Art hinweg, jeden Wunsch oder jede Not verstehen lernen – das ist in der Nachtpraxis gar nicht mal so mega easy. Aber so is‘ Caro.

In ihren Pausen geht sie selbst gerne mal das freie halbe Stündchen tanzen oder schaut sich um, was fernab von der Theke so an Atmosphäre ist, ob jemand Unterstützung, ein Kompliment oder ein Salzstängelchen brauchen könnte. Den Überblick und die wirklich herzliche Empathie hat sie sich aus der Zeit als ehrenamtliche Aufnahmehelferin für Flüchtlinge in Berlin mitgenommen. Flüchtlinge in Leipzig, die ins IfZ kommen, nimmt sie daher auch weiterhin unter ihre Fittiche – und beobachtet sehr gern deren persönliche, kommunikative Entwicklung im (hedonistischen) Freiraum.

Theke ist eben mehr als Getränke verkaufen.

Foto von Henry W. Laurisch
Artwork von Manuel Schmieder


Alien-Video-Kunst mit Meier & Erdmann

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Nicht nur wir sind begeistert: Das in Berlin und Leipzig ansässige Duo Meier & Erdmann haut zu seiner neuen LP ein kunterbuntes Video raus.

Im Dezember stellte LXC das bereits seit langer Zeit aktive und doch oft übersehene Minor Label vor und hat bereits auf die LP ”Howler Monkey“ von Meier & Erdmann hingewiesen, die in Zusammenarbeit mit deren eigenem Label Moniker Eggplant im Januar erschienen ist. Ein ”bunter Strauß von Tönen und Stilen zwischen diversen Bassmusiken“ erwartet den geneigten Hörer.

Aber nicht nur das: Zum Titel-Track gibt es außerdem ein fantastisches Musik-Video, das vom Video-Künstler Víctor Doval produziert wurde. Zum ultra-funkigen Synth-Geschnatter erleben wir, wie eine außerirdische Welt entsteht und einen Tages-Zyklus durchläuft.

Der Clou ist, dass sämtliche Elemente direkt auf die Sounds des Stücks angepasst sind – nein, vielmehr bilden sie die Daten-Grundlage für die Visualisierung. Allein das ist vielleicht gar nicht mal so besonders, hier aber als wunderbar bunte Alien-Welt umgesetzt. Wie das genau funktioniert, kann man direkt unter dem Video oder auch beim begeisterten Musik- und Visual-Technik-Blogger Peter Kirn nachlesen. Genauso schön ist es natürlich, das Video auch ohne allzuviel Hintergrund-Nerd-Infos zu genießen:

Und bevor wir wieder das Minor Label vergessen, sei nochmal auf das Album von Meier & Erdmann hingewiesen: Acht Tracks lang entführt uns das Duo auf eine irrwitzige IDM-Comic-Reise, bei der alle möglichen Styles überfahren und in den Road-Kill-Topf geworfen werden. Das ist nicht nur kurzweilig, sondern besitzt auch einen höchst eigenständigen Sound.

Good bye, Blaue Perle

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Der Juni wird ein trauriger Monat für das Nachtleben des Leipziger Westens. Nach dem Ende im Pferdehaus wird auch die Blaue Perle schließen.

In den Titeln einiger Party-Reihen, die sich die Blaue Perle als nächtliche Heimat ausgewählt haben, gab es schon Andeutungen, nun ist aber klar: Ende Juni schließt die Blaue Perle auf der Merseburger Straße.

Zwar war der Laden von Anfang an vom Thrill der Zwischennutzung geprägt, doch in den letzten Jahren hatte sich die Bar mit dem Mini-Dancefloor und der scheppernden Anlage zu einem guten Ort für kleine, verschwitze und stickige Partys mit Locals und interessanten Newcomern von überallher entwickelt. Das Ende tut auch deshalb weh, weil Leipzig durchaus mehr Läden in solch überschaubarer Größe und mit einem konstanten Clubprogramm vertragen könnte – für die Newcomer-Förderung, für neue Veranstaltungskonzepte und für Partys im kleineren Rahmen.

Die Kündigung kam für die Betreiber überraschend. Das Haus soll demnächst saniert werden. Was danach kommt, ist noch unklar, aber es dürfte damit zu rechnen sein, dass es irgendwo anders weitergeht.Btw: Natürlich ist dies nun ein weiteres Puzzleteil in der Gentrifizierungsgeschichte Leipzigs. Doch es darf nicht vergessen werden, dass auch die Blaue Perle in ihrer heutigen Form Teil eines Verdrängungsprozesses war.

Denn die Stammgäste der vorherigen, gleichnamigen Kneipe dürften mit den Künstlern und DJs nur selten gemeinsam gefeiert und getrunken haben. Der Club-Hedonismus ist aus Sicht der Immobilienbesitzer aber sehr wahrscheinlich rendite-fördernder als die verlorenen Bier- und Schnapsseelen von Lindenau. Auch wenn ”uns“ die heutige Blaue Perle eine Menge schöner Nächte beschert hat.

Afterhour #6 Liebe, Techno, Leipzig – Black Nakhur

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Black Nakhur, einer der Pferdehaus-Organisatoren stand von Anfang an auf der Afterhour-People-Liste von Antoinette Blume. Ihr Text könnte nun nicht passender erscheinen – denn das Pferdehaus schließt im Juni.

Platz im Gefüge
Als DJ ist es einfach, seinen Platz im Nachtleben zu finden. Hinter dem DJ-Pult, that‘s it. Und das stimmt bei so ungefähr keinem DJ, den ich bisher getroffen habe. Die einen machen noch die Licht-/Technik, die Bar, das Booking, die Künstlerbetreuung; vom Putzdienst bis zum Einlass irgendwie alles. Oder alles das auf einmal. Kommen, Spielen, Gehen – scheinbar gar nicht anstrebenswert.

Um wirklich Teil der Gestaltung des Nachtlebens in Leipzig zu sein, engagieren sich viele Künstler über das Künstlersein hinaus. Symptomatisch hierfür sind die vielen Crews, Open-Airs, Kollektive, Partys und nicht zuletzt unterdessen festetablierte Clubs, die überhaupt erst hieraus entstanden und hoffentlich weiterhin entstehen. Viel benutzt, aber auch mir fällt kein besseres Wort ein: Es ging und geht in Leipzig immer noch um Freiraum und ungeachtet der einigermaßen bekannten und teilweise gepflegten Drogenkultur viel eher um das Kultivieren, Sichtbarmachen, Erleben und Kreieren von (elektronischer) Musik.

Steckbrief
Clubnest? Pferdehaus im Westwerk (RIP)
Zuhausemusik? Dub
Zeit zu gehen? Mal früher, mal später. Meistens aber später.

Nowhere: Black Nakhur
Wer auch einst einfach nur mal eine Party in Leipzig (mit)organisieren wollte und nie mehr davon loskam, ist Black Nakhur. Seit sechs Jahren DJ, von der Skyline bis zum Berghain, Mitgründer des Labels Pneuma-Dor und einer der Menschen, die den allerletzten Track im Pferdehaus spielen werden (warum-wieso-weshalb lest ihr hier). Allerdings soll dieser Text kein verschriftlichter Trauergottesdienst um das Pferdehaus werden, welchen man beim Leichenschmaus zeilenweise zitiert wie den Wetterbericht oder das Line-Up des Nachtdigital-Festivals – nein. Lücken bringen Neues, ob es etwas Neues geben wird, wird sich zeigen. Mit dem Ende einer Räumlichkeit besiegelt sich noch nicht das Ende der Welt.

„(…) klingt pathetisch, macht aber glücklich.“
Black Nakhur kommt ursprünglich aus Berlin, hat mal studiert, kam nach Leipzig, hat dann eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht und seinen Job in eben diesem Metier gekündigt, als es mit dem Pferdehaus ernster wurde. No risk, no Berghain. Dort hat er auch schon aufgelegt, was für jeden mittelmäßig interessierten Technokenner doch beeindruckend ist. Er selbst ist da wesentlich bescheidener:

„Eigentlich ist jeder Auftritt vor Publikum bei dem ich die Musik spielen kann, die ich mag und bei der Menschen dazu tanzen, lachen, weinen, knutschen, … eine Art Traumerfüllung – klingt pathetisch, macht aber glücklich.“

Das sagt Black Nakhur und erklärt, er halte das ”ganze Ding“ um das Berghain für etwas hochstilisiert, wenngleich trotzdem auch ein Wunsch in Erfüllung ging, eben dort einmal zu spielen.

Und wie ist das, immer nachts zu arbeiten? Als Veranstalter, DJ und zum eignen Label kommt dazu, dass Freizeit auch Arbeitszeit und umgekehrt ist. Dabei lernt man, nicht jeden Schnaps mitzutrinken – was mir neu war, aber irgendwie schon logisch klingt. Dafür kann man dann morgens noch nett frühstücken, bevor die bessere-andere Hälfte zur Arbeit geht. Und man selbst ins Bett.

Tschüss-Wunsch
Es bleiben zwar die gleichen Themen, fast immer, überall. Partys. Bookings. Feiern. Aber gerade jetzt darf/kann/soll/muss man sich vom festen Etablissement freischwimmen, sich in neuen Kontexten und anderen Erwartungen wiederfinden. Also, auf dass wir Black Nakhur doch mal in ungewohnter Umgebung, nämlich bei Tageslicht und auf einem Festival, auflegen sehen und man ihm endlich seinen geheimen Wunsch eines eigenen Festivalbiers erfülle. Und dass junge Nachwuchskünstler, Crews und Producer wieder einen so freien Ort finden, sich auszuprobieren und zu lernen; mit genauso engagierten Menschen wie es sie im Pferdehaus gab.

Postskriptum
PS: Die letzte Party im WW aka Closing-Party findet am 9. und 10. Juni statt. Wer dem Pferdehaus die letzte Ehre erweisen möchte, der sollte es an diesem Wochenende tun. Un-be-dingt.

PPS: Noch mehr Afterhour gibt es übrigens am 29. Juni zwischen 21 und 22 Uhr bei Radio Blau. Geplaudert wird dort u.a. mit mir über Nachtgeschichten. Ich darf mir fatalerweise sogar Musik wünschen. Ob sich mein allgemein stark überschätzter Musikgeschmack in der letzten Zeit annehmbar verbessert hat, welches meine liebste Gute-Nacht-Geschichte ist und warum das Pferdehaus eigentlich die Geburtsstätte dieser Kolumne ist – findet es heraus. Ich weiß, sonst läuft bei euch nur Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur, aber Radio Blau ist nicht nur an diesem Tag mal ein Reinfrequenzieren wert.

Wir hören uns!

Foto von Henry W. Laurisch
Artwork von Manuel Schmieder

Good neighbours – Tim Rosenbaum

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Wird der 23. Juni ein Halle-Tag bei frohfroh? Zufällig erschien vor einem Jahr auf das Datum genau auch ein Artikel zu Halle. Auch das Thema ist ähnlich: es geht wieder um Tim Rosenbaum.

Es war etwas still in den letzten Wochen hier, weil alle frohfroh-Autoren viel mit anderen Dingen beschäftigt waren. Und gerade, wenn der Kopf mit essentiellen Dingen voll ist, fällt es schwer, sich auf die schönen Nebenschauplätze zu konzentrieren. Die Pause wird ausgerechnet von einer Ausnahme durchgebrochen.

Denn eigentlich geht es hier um Elektronik aus Leipzig. Doch immer wieder schwappt auch Gutes aus Halle herüber. Die Musik von Tim Rosenbaum etwa. Ich bin ja ein erklärter Rosenbaum-Fan, weil er so einen eklektischen und teils abseitigen Zugang zur elektronischen Musik pflegt. Das spiegelt sich sich nicht nur in seinen eigenen Tracks wider – wie z.B. auf der ”From Halle With Love“-Compilation zu hören – sondern auch in seinem Tape-Label Knackless und seinen DJ-Mixen.Da geht es mehr um artifizielle Listening-Erfahrungen, um ein unprätentiöses Eintauchen in verschieden überlagerte Sound-Sphären. Für die Podcast-Reihe des ”Kollegen-Blogs“ From Halle With Love hat Tim Rosenbaum kürzlich einen neuen Mix eingespielt, der wie ein Mixtape im besten Sinne klingt. Sehr persönlich, sehr various, mit Anspruch und Liebe kompiliert. Selbst Folk, Dream Pop und Wave reihen sich schlüssig da rein. Wer einen Mix für laue Sommerabende sucht, sollte Tim Rosenbaum hören.

Porträt Rosenbaum: Point Of You

Afterhour #7 Liebe, Techno, Leipzig – Tsorn

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Tsorn steht im Mittelpunkt der neuen Afterhour-Kolumne. Und musikalischer Zorn, der aber nicht nur einfache Ballerei ist. Aber lest und hört selbst.

In medias res: Geschlechtslos
Ob ich kategorielos schreiben könnte, fragt mich Tsorn. Was das genau heißt? Auf Pronomen und die Einkategorisierung von Mann/Frau verzichten, einfach immer nur Tsorn schreiben. Ja, klar, kann ich machen – finde ich spannend.

Aber Tsorn einfach nur immer Tsorn nennen, das sieht erstmal ungewohnt für die werten Leser aus. Man sollte es kurz erklären, damit es sinnig ist – was ich hiermit getan habe. Tsorn, kein er, kein sie, keine Gendergap, einfach Tsorn. Ok, wird gemacht und ihr wisst Bescheid. Und jetzt: Lest bestenfalls weiter und klickt alle Links durch.

Steckbrief
Lieblingsclub? Zoro
Zuhausemusik? Punk
Credo? Hauptsache ballern

”Hauptsache ballern“
Das Credo Tsorns könnte man auch falsch verstehen – ist aber eher ein Kokett-Spiel mit der eigenen Lifestyle-Feier-Vergangenheit und der Besessenheit, die eben dieses früher umgab. Heute eher weniger Ballerei, was auch immer das heißen mag, wenn dann nur produktiv als Künstler_in. Denn das ist Tsorn: produzierender Liveact, seit etwa vier Jahren. Tsorn spielte in dieser Zeit schon mehr als einmal im Zoro und im Institut fuer Zukunft in Leipzig, beim Reich x Schön Festival oder im About Blank in Berlin.

Auf Electro-Partys sah man Tsorn schon mit 16, damals in der Gast- und Konsumentenrolle. Mit heute 26 hat Tsorn doch eine ganz ansehnlich-lange-gute Feierexpertise. Vor ein paar Jahren nahm Tsorn sich hiervon dann eine einjährige Pause. Weg vom Feiern, hin zum Künstlersein. Die Feiererfahrung als Lebensinhalt ist vergangen; aus guten Gründen. Ein Besuch oder Auftritt im Nachtleben hat Seltenheitswert, auch wenn Tsorn öfter ausgehen und live spielen könnte, wenn eben genannter Charakter denn wollen würde.

Was ist dann die Motivation hinter der Musik, wenn es nicht das Teilnehmen und Feiern ist? ”Es geht mir weniger um Auftritte, als um meine persönliche musikalische Weiterentwicklung. Auch ohne Publikum.“

“Ich will mich eher mal wieder selbst überraschen“

So sagt es Tsorn. Überraschend schön ist es, T. dann doch ab und zu im Nachtleben zu begegnen und gemeinsam die restlichen Entwicklungen des Technos in Leipzig zu erörtern.

Die Männerdominanz im Techno
”Och echt, schon wieder? Hat die eigentlich auch noch andere Themen?“, höre ich es jetzt schon durch die Gänge zischen. Ja, tatsächlich, schon wieder das leidige Thema Umstrukturierung … Nein, ernsthaft. Künstler_innen, Booker_innen, Liveacts, Kollektivisten und DJs werden so lange ”schon wieder“ damit anfangen, bis sich nachhaltig (und damit sind auch die großen, internationalen Festivals und Clubs gemeint) eine gleichberechtigte Struktur darstellt, vollzieht und sich ”etwas ändert“.

So auch Tsorn, die das Thema offen und oft anspricht. Die Männerdominanz im Techno nervt. Ärgert uns, wir sind uns einig. Tsorn mag daher die Partys der No Show-Crew, bei denen T. auch schon als Liveact gebucht wurde, sehr.

So wie ich. Weil hiermit subtil eine Message und Haltung vertreten wird, ohne die obligatorische Einkategorisierung ”Female Line-up“. Wir verstehen uns also auf Anhieb richtig und vor allem gut. Schöner Schluss eines sonst eher tristen Vormittags.
Merci, Tsorn.

Ts = Z
Zum Abschluss verrate ich euch noch die Bedeutung des Künstlernamens, der sich gezwungenermaßen-überdiemaßen oft im Text liest. Eine der sieben Todsünden – Zorn. Voilà.

Übrigens: Tsorn am Bass bei The Heroine Whores.

Foto von Henry W. Laurisch
Artwork von Manuel Schmieder

Gegenwind für die Sperrstunde

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Seit einem Monat ist die Sperrstunde für Leipziger Clubs ein Thema, das eigentlich keines mehr sein sollte. Eine Online-Petition erhöht nun den Druck auf die Stadtverwaltung.

Es ging alles sehr schnell. So schnell, dass ich zwischen Arbeit und Urlaub gar nicht hinterher kam, das Thema bei frohfroh aufzugreifen. Die Geschichte dürfte mittlerweile hinreichend bekannt sein: Thump, Kreuzer und LVZ Online berichteten ausführlich darüber, dass das Institut fuer Zukunft seit Anfang Juni die Sperrstunde von 5 bis 6 Uhr einhalten muss. Obwohl sie bisher trotz einer Landesregelung in Leipzig keine Rolle spielte.

Nach Anwohnerbeschwerden wegen Lärms gegenüber dem IfZ wird die Sperrstunde aber nun plötzlich als Sanktionsmittel vom Ordnungsamt eingesetzt – komischerweise nur gegen das IfZ. Dass dies nicht so bleiben muss, ahnen natürlich auch die anderen Clubs der Stadt. Jürgen Kasek, der das IfZ als rechtlich in der Angelegenheit unterstützt, hat Ende Juni eine Online-Petition gestartet, die dem Stadtrat die Relevanz der Clubkultur für das Leipziger Kulturleben deutlich machen soll und die fordert, dass die völlig überholte Idee einer Sperr- und Putzstunde in Leipzig nicht weiter verfolgt werden sollte.

Denn: So gern sich das Stadtmarketing Leipzig als jung und hip und kreativ hinstellt, so provinziell mutet die derzeitige ordnungspolitische Diskussion um die Sperrstunde an. Am Ende würde sich die Stadt selbst ein Bein stellen, wenn sie der mittlerweile international ausstrahlenden Clubszene Leipzigs einen solchen Brocken in den Weg legt.

Über 6.500 Unterstützer/-innen haben die Petition bereits unterschrieben. Durch verschiedene Gespräche des IfZ mit dem Ordnungs- und Kulturamt sowie Support von einigen Politikern/-innen kommt das Thema Sperrstunde auf die Agenda der nächsten Stadtratssitzung Ende August. Der Gegenwind dürfte im Rathaus bereits jetzt deutlich zu spüren sein.



Another week is possbl

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Vom 24. bis 29. Juli öffnet der Possblthings Recordshop seine Pforten – als Pop-Up-Store im Leipziger Westen.

Im April berichteten wir über die temporäre Schließung und der kommenden Neuausrichtung des Possblthings Recordshop in Connewitz. Nun gibt es Neuigkeiten: Mitten im Sommerloch öffnet der Laden für die Woche vom 24. bis 29. Juli jeden Tag von 12 bis 20 Uhr als Pop-Up-Store im Fetti Amore in der Merseburgerstr. 17.

Es besteht nicht nur die Möglichkeit, im Backstock und in ausgewählten 2nd-Hand-Platten zu stöbern, sondern auch frisch bestelltes Vinyl zu erwerben. Nebenbei wird zum gepflegten Abhängen eingeladen – es wird auch für das leibliche Wohl gesorgt. Nicht zuletzt gibt es jeden Tag ab 17.30 Uhr ein musikalisches Rahmenprogramm mit ausgewählten DJs: Esclé, Maik Grötzschel, DJ Rijkaard und Magnetic & Varum sind eingeladen. Weitere Infos dazu hier.

Zum Abschluss zeigt Possblthings-Team im fast benachbarten Dr. Seltsam, was sie so mit ihren Neuerwerbungen anstellen: Am Samstag den 29. Juli findet dort nämlich die Closing-Party für den einwöchigen Ausflug nach Plagwitz statt. Und wenn der Sommer vorbei ist, wird der Laden nach Plänen der Betreiber an neuer Stelle wieder eröffnet.


Afterhour #8 Liebe, Techno, Leipzig – X*

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Das Leben, speziell die Nächte stecken voller Ambivalenzen. Davon handelt auch die neue Ausgabe unserer Afterhour-Kolumne.

Ambivalenz ist eines der Worte, die außerordentlich gut zum Nachtleben passen. Ambivalenz ist dazu eines meiner liebsten Worte. Für mich fühlen sich viele Situationen ambivalent an, gerade beim Feiern. Das Tief nach dem Hoch, das Hoch nach dem Tief, die Liebe zum Ausgehen, manchmal überschwänglich, manchmal desaströs, das Satt-sein danach, unterschwellig-stumpf, die Angst und die Aufregung, das schlechte Gewissen und der Genuss. Ambivalenz trifft das folgende Portrait ebenfalls so gut wie schlecht.

Dazu kommt, es ist Sommer, man möchte von Drogen und Sex, Open-Airs und durchtanzten Nächten lesen und hören, nicht über Klausuren und Geld nachdenken, alles weniger ambivalent und dafür positiv halten. Sex und Drogen – bekommt ihr. Die mitgeschleifte Portion Ambivalenz zwangsweise auch, geht aufs Haus, könnte man sagen.

Steckbrief
Lieblingsclub? Distillery, Institut fuer Zukunft
Lieblingsdroge Keta(min), ”G“

Callcenter und Eskapismus
X ist jung, schön, kinky, scheinbar reflektiert, im Nachtleben integriert, natürlich nur in schwarz angekleidet, sehr präsent, eine Art Balletttänzer im Club, 19 Jahre alt (wohl eher jung) und seit zwei Jahren regelmäßig im Berghain, der Distillery und im Institut für Zukunft unterwegs. Was schon mal einigermaßen unfassbar für mich ist, da ich selbst mit 23 zum ersten mal vor Sven Marquardt stand (und Fangirl-like zur Vorbereitung seine Biografie las und fünf bis zehn Schnaps vor Aufregung trinken musste. Sidenote: Sven Marquardt und ich haben am gleichen Tag Geburtstag) und bis dato nicht viel vom Feiern in Electroclubs wusste. Anders ist es bei X – der, schon viel früher als ich, den ”Club als Schutzraum“ entdeckt hat. Eben diese Art von Räumlichkeit, die man zum Eskapieren braucht, die andere, magische Welt, die sich vom Callcenter-Alltag abgrenzt.

Ketalympics
Über die Musik kam X zu Technopartys, via der ausschweifend langen Parties zu den Drogen. Nicht ganz unbekannter Werdegang, wenn man sich die Mitfeiernden der historisch gewachsenen (und ebenso neuen) Clubs Leipzigs oder Berlins so anschaut.

Auf die typischste aller Afterhour-Fragen ”Was ist deine Lieblingsdroge?“ antwortet X mir prompt: Keta(min). In der Vergangenheit zwar vieles versucht, viel vermischt, viel genossen – jetzt ausschließlich Keta. Diese Aussage deckt sich mit meinen letzten beobachtenden Erfahrungen in Leipzig – Keta is the place to be, the stuff to see und das Must-Have im dunklen Rauschnebel. Die eher dissoziative, gleichzeitig interessante Droge ist gerade bei jungem Publikum extrem gefragt. Dunkel, drauf, laut, Techno. Mehr braucht es manchmal nicht, und wenn doch, kann man sich für den globalen Abriss entscheiden, für die Ketalympics im Club. Von Toilette zu Toilette, im Kreis wandern, Keta ziehen und warten, wer und ob jemand gewinnt.

En Vogue: Der Darkroom
Apropos. Eine einigermaßen kredible Darkroomexpertise fehlt mir zwar (leider), aber dafür kann mir X von seinen (seinerseits krediblen) Erlebnissen berichten. Ein Darkroom gehört für X zum Cluberleben dazu, zum Hedonismus im Nachtleben.

Die fehlende Anonymität erschwert das aktive Darkroom-Treiben in Leipzig zwar, aber zeitweise gibt es Angebote, die mehr oder weniger verhalten genutzt werden. ”Den Typen, den ich Montag noch im Darkroom gefistet habe, dem möchte ich Dienstag nicht bei Bäcker Wendl begegnen“, lacht X. In Leipzig also (noch) nicht ganz so einfach. Das kann ich gut nachvollziehen und nicke zustimmend: Klar. Schmusen auf der Toilette kann schon eher auch in Leipzig zum aufregenden Zeitvertreib werden. Zum Leidtragen (oder Verzücken) aller vor der Tür Wartenden. In diesem Fall gibt es ganz real zwei Seiten: Einmal vor, einmal hinter der Tür. Womit wir wieder am Anfang wären.

So war das, als wir uns im Januar zum Interview trafen. Passend-widersprüchlich zog sich die Freigabe des Textes bis August.

*Name und Foto auf Wunsch des Interviewten anonymisiert

Fragen und Antworten zu Ketamin, GBL, GHB und anderen Drogen, ebenfalls Infos zu Sex in Verbindung mit Drogen gibt es hier:
http://drugscouts.de/de/substanzen
http://drugscouts.de/de/page/drogen-sex

Foto von Henry W. Laurisch
Artwork von Manuel Schmieder

Afterhour #9 Liebe, Techno, Leipzig – Falko

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In unserem letzten Talk Talk-Podcast hatten wir bereits mit dem Türsteher Erkan gesprochen. Nun traf Antoinette Blume für ihre Afterhour-Kolumne Falko, der neben dem Studium an der Clubtür arbeitet. Ja, du kommst rein. Einfach klicken.

Aus dem Club rausstolpern, ein schüchterner Blick Richtung Tür, nochmal leise ”Tschühüüss“ rufen und zur Tram verschwinden. Müde sein, das Ich-habe-100-Zigaretten-zuviel-geraucht-Gefühl, einfach nur noch Zähne putzen wollen. Oder noch zwei Minuten nachdem das Licht im Club angeht (denn nur dann weißt du, ob du …) nicht recht wissen wohin – und zur Afterhour taumeln.

Die Nacht der Nächte gehen lassen. Oder nicht, wie auch immer. Gesehen wird man beim Raustreten und beim Eintreten von: Surprise, surprise! Den Türstehern und Türsteherinnen. Die Verwandlung von Raupe zu Schmetterling und wieder zurück innerhalb zwölfstündiger Tanzaerobic (in teilweise anaeroben Zonen) kann von eben diesen wunderbarst begleitend-beobachtet werden. Hach. Und worüber gab es in Leipzig mehr Rumore, Beschwerden, Gerüchte und Geschichten als über die Institutstür? Richtig, mir fällt auch nichts ein.

Steckbrief
Lieblingsclub? Institut fuer Zukunft
Zuhausemusik Klassik und Jazz
Liest gerade …? ”Der patagonische Hase“ von Claude Lanzmann

Türsteher, Clubconcierge, Selektor
Falko. Ich würde sagen, einige der Nachteulen (lol, liebe dieses Wort) Leipzigs kennen ihn. Der Mann an der Tür, der gerne auf dem Barhocker im Eingangsbereich sitzt und ab und zu bei Streifgängen durch die Flure und Gänge des Instituts für Zukunft herum- und herüberschwirrt.

Wieder einmal bin ich ganz von den Socken (liebe diesen Ausdruck, Part II), wie nett Falko ist – ich habe ihn mir ”ganz anders vorgestellt“, bevor wir zwei-drei Sätze tauschten. Autoritär, vielleicht einen Zacken unnahbar, wie so ein Türsteher eben meistens in unseren Köpfen anmutet. Aber hey, gar nicht.

Falko ist seit 15 (fünfzehn!) Jahren Türsteher. Und versteht sich selbst viel eher als Clubconcierge, um dem üblichen Türsteher-Image zu entgehen. Nicht nur im IfZ, sondern auch auf dem Think!-, Splash!-, Melt- oder Endless Summer-Festival und im Werk 2 steht Falko an der Tür bzw. am Einlass-Point.

Die typischste aller typischen Fragen, die man einem Türsteher eben so beim ersten Treffen stellt: Ob er an den Orten selbst gerne feiert, oder gerne feiern würde? ”Ich bin gar nicht so der Feiertyp …“, überlegt Falko. Er würde zwar manchmal gerne auch freizeitlich ins IfZ oder in einer Bar socializen – nur fehlt ihm die Zeit. Unter der Woche studiert er Kulturwissenschaft an der Universität Leipzig, ist gerade mit seiner kulturgeschichtlichen Bachelor-Arbeit über das Thema ”Antisemitismus in der Massenkultur“ beschäftigt und steht am Wochenende an der Tür. Auch gerne mal Doppelschichten – hm. ”Ich arbeite eben genau dann, wenn andere feiern“ – ja, tadellos, zum Glück. Sonst könnten wir wohl nicht so feiern, wie wir es tun. Stichwort Selektor.

Nein = Nein
In 15 Jahren als Türsteher, was lernt man da so? Was bleibt als Message? Das Unverständnis für das Verhalten von Menschen, in den verschiedensten Abstufungen. Zum Beispiel: Leute, die mit 50 oder 100 Euro Scheinen Einlass verlangen, kleine Bestechung und dann läuft es? Errrm, nein. Nein heißt nein, auch oder besonders an der Tür. ”Ohne Auswahl ist das Projekt sinnlos“, sagt Falko. Die Kuration einer Veranstaltung im Institut fuer Zukunft beginnt am Veranstaltungsabend für die Gäste an der Tür. Und entscheidet damit für den einen oder anderen Gast, ob er_sie, auf welche Weise auch immer – tanzend, stehend, kurz, lang, ausufernd, einufernd – teilnehmen wird oder nicht.

Wie in der Schule
Was für mich komplett neu war und was ich das letzte Jahr wohl falsch verstanden habe: Wenn mich der Türsteher oder die Türsteherin fragt, welche Veranstaltung denn ist, dachte ich bisher: Die fragen dich ab, es ist ein Test, wie in der Schule. Gut auswendig lernen, toitoitoi! Völlig falsch. So soll nur ein kurzes Gespräch initiiert werden, um abzuchecken, ob die Party zu den Menschen passt oder umgekehrt. Kein Abfragen, sondern kurzes Kennenlernen. Auswählen, aber auf nette Art und Weise. Der Hocker am Einlass soll ebenfalls nicht als bedrohlicher Thron, sondern als Instrument dienen, auf Augenhöhe mit den Gästen zu kommunizieren.

Wieder was dazugelernt!

Zum Schluss-Schluss noch schnell ein Fazit, bisschen unvermittelt, aber okay, ich möcht‘ es euch erzählen:

„Ich kann mir keinen anderen Nebenjob vorstellen“ (Falko).

Find ich schön.

PS: Ich darf noch etwas ankündigen. Wer gerne sexpositive Texte liest, sie sich noch viel lieber von mir vorlesen lässt, bzw. lassen würde, wenn er die Gelegenheit dazu hätte; vielleicht auch schon mitbekommen hat, dass ich zu diesen Themen schon manches Textlein geschrieben habe; wer es zur letzten No Show-Party nicht geschafft hat oder zu jeder No Show pilgert, der ist herzlichst dazu aufgefordert und eingeladen, am 30. September eine kurze Tanzpause einzulegen und im Trakt III auf eine klitzekleine Lesung zu den Themen Gangbang, Mädchenliebe und Pornos reinzuschauen.
Bin dann mal afk. Man sieht sich.

Foto (as always) von Henry W. Laurisch und Artwork (natürlich) von Manuel Schmieder.

Festival-Marathon im September

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Im September finden gleich drei interessante Festivals in Leipzig statt. Bitte die Terminkalender bereithalten.

In dieser Woche feiert das SeaNaps-Festival sein Debüt. Inspiriert von Les Siestes Electroniques im französischen Toulouse geht es darum, verteilt über die Stadt Kunst, Musik, Politik und Workshops zu vereinen. Das Programm ist riesig und startet am Donnerstag mit einer Opening Party im Gemeinschaftsgarten Annalinde, verlagert sich am Freitag und Samstag in den Park vor dem Grassi-Museum. Im Westwerk gibt es dann am Sonntag eine abschließende Sleep-Over-Party, die bis in den Montag reinreicht. Es wird auch ein Vinyl mit Musik vom SeaNaps-Festival geben. Das Programm ist hier.

Für alle vier Tage hat das Konglomerat-Kollektiv ein Workshop-Programm organisiert – vom Rundgang durch das Vinyl-Presswerk R.A.N.D. Muzik bis zu DJ-, DIY-Synth-Bastel- und Film-Workshops ist da einiges dabei. Hier sind die Details.

Besonders spannend: Das SeaNaps-Festival testet mit dem Blockchain-System eine neue Art der solidarischen Vergütung kreativer Arbeit. Alle Gelder, die aus dem Barbetrieb und Merchandise eingenommen werden, werden in Echtzeit in die Kryptowährung ”Lip“ übertragen. Die Blockchain-Software verteilt anschließend sofort die Lips an all die Leute, die zur Organisation des Festivals involviert sind. Dies soll alles auch transparent einsehbar sein, um die Blackbox Festivalfinanzierung zu öffnen. Ein sehr ambitioniertes Experiment.

Und dann ist da noch das Freiraum-Festival an diesem Wochenende, in dessen Rahmen verschiedenste öffentliche oder verborgene Orte des Leipziger Ostens bespielt werden. Mit Filmen, Kunstaktionen, Ausstellungen und Konzerten.

Interessant hier ein weiterer Abend der ”Bells Echo“-Konzertreihe mit Stefkovic van Interesse. In der Heilig-Kreuz-Kirche läutet das Konzert das Festival ein. Und dort wird auch das Abschlusskonzert mit Kurt Laurenz Theinert und Sébastien Branche stattfinden, außerdem spielt Schmeichel – in Kooperation mit dem SeaNaps-Festival. Da sind die Netzwerke also schon gut geknüpft.

Mehr zum Freiraum-Festival hier.

Mitte September wird es dann ein Highlight für die Bass-Heads geben. Auch wenn Leipzig in puncto Labels, DJs und Partys eine House- und Techno-Stadt ist, die Bassmusik-Szene hier muss sich nicht verstecken. Alphacut Records, Boundless Beatz und Defrostatica hauen seit Jahren viel beachtete Platten und Tracks zwischenDrum & Bass, Footwork, Dub und Dubstep raus. Und so ist es sehr schlüssig, dass das Tief Frequenz Festival nach Berlin und Hamburg in diesem Jahr in Leipzig stattfindet.

Der Netzwerkgedanke ist hier neben den Partys essentiell, denn es sind Promoter, DJs und Live-Acts aus über zehn deutschen Städten eingeladen, um an zwei Nächten in der Distillery und dem So&So zusammen zu feiern und sich zu connecten. Auch ein Rahmenprogramm ist geplant, das mehr Einblick in eine Subkultur geben soll, die in unseren Breiten eher im Schatten von Techno und House und in unkommerzielleren Strukturen agiert.

Das komplette Line-up gibt es hier.

Vote for Party

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In knapp zwei Wochen ist Bundestagswahl. In der Distillery gab es deshalb eine Podiumsdiskussion mit Leipziger Politikern zu clubrelevanten Themen. Zum Glück gibt es einen Mitschnitt.

Irgendwie ist der Termin im Vorfeld komplett an mir vorbei gegangen. Und so bin ich sehr froh, dass es einen Mitschnitt des ”Vote for Party“-Abends gibt. Eingeladen waren Dr. Thomas Feist (CDU), Gesine Märtens (Bündnis 90/Die Grünen), Sören Pellman (Die Linke), Christopher Zenker (SPD) und Markus Vielfeld (FDP).

Ausgangspunkt war ein Positions- und Fragepapier der LiveKomm, dem Bundesverband der Musikspielstätten in Deutschland. Dabei sollte evaluiert werden, wie sich die Parteien zu den Themen Kulturraumschutz für Clubs und Festivals, Abgaben für Kulturbetriebe, Förderung von Clubs und deren Netzwerken sowie die Gesundheit der Gäste und MitarbeiterInnen positionieren.

Es lohnt sich, die zwei Stunden Zeit zu nehmen.

Track-Premiere – Philipp Rumsch ”Part I“

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Dies ist eine besondere Track-Premiere: Denn Philipp Rumsch bringt seine erste EP auf dem renommierten Denovali Records heraus. Hier gibt es ”Part I“ erstmals zu hören.

Abgefahren, wie schnell es gerade bei Philipp Rumsch geht. Vor knapp einem Jahr haben wir das erste Mal über sein ambitioniertes Ensemble-Projekt berichtet. Jetzt überrascht der 22-jährige Komponist, Sounddesigner und Pianist mit einer EP auf Denovali. Das Bochumer Label mit eigenem Festival in London und Berlin gehört zu den wichtigsten Adressen für Ambient, Drones, Electronica und andere musikalische Experimente.Mit der EP ”A Forward-Facing Review“ debütiert nun Philipp Rumsch auf Denovali Records. Zwei Tracks entstanden in den letzten Monaten seines Studiums am Rytmisk Musikkonservatorium in Kopenhagen. Rumsch arbeitete dafür ausschließlich mit akustischen und elektronischen Tasteninstrumenten. Die verschiedenen Aufnahmen bearbeitete und verfremdete er später noch am Rechner, so dass zwei etwa zehnminütige Tracks entstanden, die unmittelbar und zugleich unwirklich wirken.

”Part I“ dürfen wir heute als Track-Premiere vorstellen. Das Stück klingt so, als würde es still in der Luft schweben. Anfangs ganz still, bäumt es sich nach sechs Minuten ebenso sinfonisch wie bedrohlich auf und kontert die schraubenden Dissonanzen mit einem hintergründigen Piano.

Sehr sehr einnehmend unter dem Kopfhörer.

Ende September erscheint ”A Forward-Facing Review“ als Vinyl und Digital. Und im nächsten Jahr erscheint ”Reflections“ vom Philipp Rumsch Ensemble auf Denovali.

Afterhour #10 Liebe, Techno, Leipzig – Luise

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Einem spannenden Thema geht Antoinette Blume in der neuen Ausgabe ihrer Afterhour-Kolumne nach: Gibt es wirklich kein Feierleben mehr, wenn man Kinder hat? Luise kann davon erzählen.

In medias res, mal wieder
Wenn man Kids hat, ist es mit Feiern vorbei. Schluss, Ende, ausdiemaus. Oder? Sicher eine Individualentscheidung. Dann gibt es noch unbeeinflussbare Umstände, glückliche, weniger glückliche oder ambivalente, die machen die Sache eh uneindeutig.

Aber es gibt Eltern, die weiterhin ihr Geld im Nachtleben verdienen, als DJ, Techniker_in, Türsteher_in, Barfrau_mann, whatever. Und weiterhin Menschen mit Kiddies, die auch ab und an noch ausgiebig feiern sind. Eltern in ihren Zwanzigern, Dreißigern, Vierzigern. Ich habe für diesen Text mal eine junge Mutti aus dem Leipziger Nachtleben ausgefragt.

Steckbrief
Clubnest? So&So, Thalysia, IfZ
Zuhausemusik Das Dschungelbuch
Zeit zu gehen …? Wenn der Meisenmann singt

1+1=3
Luise, Grafikdesignerin, Friend-in-need und in-deed, Feiergängerin und Dschungelkönigin, wenn sie mit dem Rucksack durch Thailand läuft. Ich habe Luise zu einer Sonntagsparty im So&So kennengelernt, auf der ich rumfragte, wer denn jemanden kenne, der schon Kinder hat und trotzdem noch feiern geht. Da wir augenscheinlich die gleichen Clubs frequentieren, liefen wir uns noch ein paar Mal über den Weg – oder trafen uns bei ihr zu Hause, mit ”Kind und Kegel“, wie man sagt.

Dabei erfuhr ich, dass sie 32 und selbstständig ist, Filmschnitt und Motiondesign (und so Sachen) macht, ihr Studium in Dessau abgeschlossen und einen Sohn hat. Ihr Sohn ist drei Jahre alt und hat keine allzu großen Sympathiegefühle für mich, da ich seine Mutti in Anspruch nehme. Da fällt mir wieder ein, dass ich generell nicht so die Kinderflüsterin zu sein scheine …

Gästeliste + 1
Luise feiert seit sie 15 ist, gerne auch ausgelassen die Nächte durch, WG-Party, Festival, Club – alles, her damit. Es wäre offensichtlich gelogen, hätte es seit der Geburt ihres Sohnes keine Veränderung gegeben. Man muss sich gemeinsam mit irgendwem organisieren, sei es nun der_die Partner_in, ein enger Freund, die eigene Mama oder der Opa, es muss genau ausgewählt werden, wofür der wortwörtliche Feierabend eingelöst wird, seit die Beziehung zu sich und anderen zwangsweise aus Gästeliste+1 besteht.

Luise ist es aber elementar wichtig, nicht nur eine „verantwortungsfreie“ (aufgepasst, nicht verantwortungslose) Zeit für sich nutzen zu dürfen, sondern auch einfach mal Gespräche und Erlebnisse mit Menschen zu teilen, die keine Kinder haben. Wie das funktionieren kann? Mit dem Partner absprechen und sich einem ganz neuen Genuss hingeben: Vorfreude. Vorfreude. Vorfreude, denn man kann nur noch bewusst und geplant ausgehen, ”spontan 2-3 Wein um die Ecke trinken“ geht eher nicht so oft. Eher mal so gar nicht.

Zu manchen Anlässen können auch die Großeltern rangeholt werden, die das Enkelchen mal ein Wochenende bespaßen – während seine Eltern Spaß im Club haben. Man hebt sich diese Gelegenheiten aber auf, zum Beispiel für ein interessantes Line-Up, eine große Opening-Party oder den eigenen Geburtstag.

q.e.d.

Als Mami schwankt Luise ab und an von ”Wo ist mein Leben hin?“ zu ”Ich vermiss‘ mein Kind“, was ich nur allzu nachempfindenswert finde.

Es gibt aber-trotzdem-gerade-deshalb keinen Widerspruch von Nachtleben und Kinder haben. Das friedliche Co-Existieren ist zwar abhängig von Ressourcen und Interessen, nicht nur den eigenen, sondern von vielerlei Bekannten, Freunden und möglicherweise des/der Partners_in… Trotzdem, alles machbar.

Foto (as always) von Henry W. Laurisch und Artwork (natürlich) von Manuel Schmieder.

Bald wieder: Elektronische Schallplattenbörse

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Im November werden wieder musikalische Schätze aus den Kellern, Abstellkammern und Dachböden der Stadt zur Elektronischen Schallplattenbörse zusammengetragen. Auch ihr könnt euch ab jetzt für einen Stand anmelden.

„Unregelmäßig“ ist der zweite Vorname der Elektronischen Schallplattenbörse. Umso schöner ist es dann auch, wenn sie in der Feinkost die Musik-Nerds der Stadt zusammenbringt. Inzwischen ist sie nicht mehr allein: Mit dem Vinylbuffet Süd und der Plattenbörse im Felsenkeller gibt es inzwischen zwei weitere Möglichkeiten, mehr oder weniger regelmäßig Kisten nach neuen Entdeckungen zu durchforsten. Eine begrüßenswerte Entwicklung für alle Musikliebhaber also.

Aufgrund der Jahreszeit wird die Elektronische Schallplattenbörse diesmal indoor stattfinden. Es soll sogar geheizt werden. Am Samstag den 04.11. könnet ihr von 10 bis 16 Uhr wieder nach Herzenslust Vinyl, Tapes und CDs kaufen, verkaufen oder tauschen. Wie immer liegt der Fokus auf elektronischer Musik, aber andere Genres dürfen sich ebenfalls zu Wort melden. Musik- und DJ-Technik findet hier genauso ihren Platz. Natürlich ist auch allgemeines Herumlungern und Schwätzchen halten gern gesehen.

Wer also bei gemütlicher, kommunikativer Atmosphäre seine alten Schätze in die Obhut anderer Menschen geben möchte, der kann seinen Stand gegen eine kleine Unkostendeckung anmelden.
Hier nochmal die Fakten in der Übersicht:

Datum:
04.11.2017 | 10-16 Uhr

Location:
Feinkost, Karl-Liebknecht-Straße 36, 04107 Leipzig

Anmeldung und weitere Informationen unter:
espb[at]vinyl20[dot]com

Es wird eine kleine Standgebühr geben.


25 Jahre Distillery – Daniel Stefanik & Georg Bigalke

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Die Distillery feiert ihren 25. Geburtstag. Wir wollten von zwei Resident-DJs wissen, was für besondere Momente sie mit dem Club verbunden. Und beide steuern jeweils einen Jubiläums-Mix bei.

Wir freuen uns, neben dem großen Interview mit Distillery-Betreiber Steffen Kache auch die Statements von zwei langjährigen Resident-DJs veröffentlichen zu dürfen. Mit Daniel Stefanik und Georg Bigalke erzählt jeweils ein Act vom oberen und unteren Floor von seinen besonderen Distillery-Momenten. Dazu gibt es zwei Mixe – der Soundtrack zur Distillery quasi.Daniel Stefanik

”Die magischsten Momente erlebe ich immer in den Morgenstunden, nachdem ich schon zwei bis drei Stunden gespielt habe. Dann habe ich das Gefühl, dass wir im gleichen Takt schlagen.

Eigentlich macht es überhaupt keinen Sinn weniger als vier Stunden in der Distillery zu spielen.

Denn ich habe ständig das Gefühl, dass die Leute auf eine Reise mitgenommen werden wollen und das geht einfach nur über die Zeit. Dann sind sie sogar bereit, zu den abgefahrensten Sachen zu tanzen. Ich kann mich gut erinnern, nachdem ich vier Stunden gespielt habe, dass ich in der letzten halben Stunde nur noch Rhythm & Sound-Platten mit Ricardo Villalobos-Tracks zusammen gemixt habe. Das war tatsächlich unheimlich magisch.“

Georg Bigalke

”Die Distillery ist ein Ort für obskure Begegnungen, seltene musikalische Momente. Und sie wird geführt von einem über die Maßen feinsinnigen und offenen Team. Seit 2007 darf ich nun meine Wenigkeit als ein Teil des Ganzen verstehen und zähle zu den Residents der Grande Dame. Dies ist ein Fakt, der mir bis heute immer wieder ein fettes Grinsen ins Gesicht zaubert und ‚leichtes‘ Herzrasen verursacht. Seit nunmehr zehn Jahren habe ich die Möglichkeit meine Musik zu spielen und den ein oder anderen Künstler in den Keller einzuladen.

Trotz der ganzen Zeit hat meine Begeisterung für die Distillery nie nachgelassen – vor allem nicht für die Sets am Morgen, die Sets mit den unendlichen Weiten und einem sehr, sehr offenherzigen Publikum. Hier kann ich spielen, was ich liebe. Vielen Dank an all diejenigen, die mir dies mit ihrem Vertrauen immer wieder möglich machen. Ein ganz besonderer Dank geht an Marc, Steffen, Rukey, Robert, Matze, Schubi, Tim und Jette.“

Afterhour #11 Liebe, Techno, Leipzig – Katja

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Traurig aber wahr: Die Afterhour-Kolumne von Antoinette Blume neigt sich dem Ende zu. Hier kommt die vorletzte Ausgabe – mit Katja, die im So&So an der Bar und Garderobe arbeitet.

Fast Schluss
Die vorletzte Ausgabe, huiuiui. Zielgerade. So fast. Hach. Der gefühlte kleine erste Abschied, bis die nächste Ausgabe die letzte sein wird. Aber heute ist nicht aller Tage Abend, daher: Weg mit der Novemberdepression, her mit den roten Sonnenuntergängen.

Für die Nummer 11 habe ich Katja kennenlernen dürfen – mit der ich so das ein oder andere Fazit zum Thema Feiern in Leipzig gezogen habe. In meiner neuen Lieblingsstätte, dem Bricks (danke btw an Anja Kaiser für diesen Ultimativtipp für einsame und gesellige Abende in der Innenstadt), plauderten wir zu Wein und zuckrigen Cocktails über alles und nichts, über Musik und Kreuzworträtsellösen. Fast wie bei einer richtigen Afterhour.

Steckbrief
Clubnest? So&So
Zuhausemusik Subkutan, Garstique, Gyrl, Tsorn… Techno aus Leipzig eben.
Zeit zu gehen …? Nach der Afterhour

 

Auch mal 12 Stunden
”Man muss sich erstmal an Leipzig gewöhnen“, sagt Katja gleich zu Anfang. Auch mal zwölf Stunden arbeiten – oder 12 Stunden feiern. Die vorher gekannten ”Großraumdissen“ in Kassel oder Göttingen mit ‚etwas anderen‘ Konzepten und Schließungszeiten weit vor zweistelligen Vor- und/oder Nachmittagszeiten gehören für sie schon seit sechs Jahren der Vergangenheit an.

Galeriehotel, Nachtleben, Solipartys, So&So. So liest sich in etwa die Leipzigvita von Katja, die im So&So an der Theke oder der Garderobe arbeitet und im Galeriehotel als Nachtportier* jobbt. Dazu ist sie eigentlich Fremdsprachenassistentin und spricht vier Sprachen. Ahh, und löst gerne Kreuzworträtsel, wenn ihr der Partytrubel zu viel wird. Interessante Mischung, kann man sagen.

”Verrückten den Raum geben, verrückt zu sein“
Das halbe Leben in die Nacht verlegt – warum? Sie mag die Ästhetik, die Stimmung, in der Nacht seien die Menschen, die ihr da so begegnen, ehrlicher.

Zum So&So kam sie durch Freunde, die zur Eröffnung des Clubs noch Unterstützung brauchten. Ihr Freund und Mitbewohner arbeitet im gleichen Club, ein richtiges Nachtschwärmerpärchen. Da sie sich nicht nur in den Wandschrank als Lieblingsfloor und in den Türsteher verliebt (und verlobt) hat, sondern auch der Arbeit hinter den Kulissen etwas abgewinnen kann, blieb sie dabei.

Schützen sollte man Feierstätten als Schutzraum an sich, findet Katja. Toleranz, Diversität und Verständnis im Feierkosmos zu propagieren und zu kreieren, das ist ihr wichtig.

„Verrückten den Raum geben, verrückt zu sein – sich fallen zu lassen, unbefangen und sozial etwas gelöster zu sein.“

Dafür ist sie dem Club als möglichem Schutzraum dankbar. Und sie weiß es zu schätzen, dass es in Leipzig neben den Drugscouts auch Awarenesspeople gibt, die eben jenes (mit)erhalten: einen Raum sozialer Produktivität.

Afterhour
Endlich nochmal jemand, der die Afterhour liebt! Also nicht diese hier, na ja vielleicht auch, hoffentlich, aber eben die richtige Afterhour nach einer langen Nacht, die noch nicht zu Ende ist, lange noch nicht zu Ende sein wird, ist gemeint. Gemeinsames Runterkommen, müde werden, Geschnacke und in Katjas Fall kommt es sogar zu gelegentlichen Schnitzeljagden während einer ausgiebigen Afterhour.

”Die besten Gespräche führt man auf einer Afterhour – ist einfach so. Auch wenn man sich ab und zu vier-fünf Stunden im Kreis dreht“, lacht sie. Für sie also mithin der schönste Abschluss des Abends. Zwangloses Miteinander und vor allem eine nette Beobachtungsstätte von und für Menschen, plus eine der günstigsten Gelegenheiten mit dem Auflegen zu starten. Und zum Kreuzworträtsel lösen …

Foto (as always) von Henry W. Laurisch und Artwork (natürlich) von Manuel Schmieder.

Dissonant Counterpoint – Diana Policarpo

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Um Kunst geht es bei frohfroh fast nie. Obwohl es durchaus spannende, klangliche Überschneidungen gibt. Beispielsweise bei Diana Policarpo – sie beschäftigt sich in ihrer neuen Ausstellung mit einer hochspannenden, leider verkannten Komponistin, die in Leipzig geboren wurde.

Es ist eine ebenso faszinierende wie tragische Geschichte, die mit Johanna Magdalena Beyer verbunden ist. 1888 wurde sie in Leipzig geboren, mit 35 Jahren emigrierte sie in die USA. In New York prägte sie die ”amerikanische Ultra-Moderne“ mit und gilt als eine der ersten Frauen, die in den 1930er Jahren mit elektronischer Musik experimentierte. Doch weder zu Lebzeiten noch nach ihrem Tod 1944 erhielt sie die Aufmerksamkeit und das Ansehen, das ihr in der Avantgarde-Szene eigentlich zusteht – auch nicht in der Musikstadt Leipzig.

Diana Policarpo möchte dies ändern. Die in Lissabon geborene und heute in London lebende Bildende Künstlerin, Noise-Musikerin und Komponistin widmet sich seit mehreren Jahren in verschiedenen Kunstformen dem Leben und Werk von Johanna Magdalena Beyer. Aus einem grundlegenden Interesse für Macht- und Genderstrukturen.

Für KV, den Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig, zeigt Diana Policarpo in der Ausstellung ”Dissonant Counterpoint“ Sound-Installationen und Sound-Skulpturen, die Fragmente von Johanna Magdalena Beyer mit eigenen Kompositionen vereinen. Ihre Arbeitsweise ist also nicht rein dokumentarisch, sondern darauf bedacht, auf künstlerische Weise Korrelationen zwischen Geschichte und Gegenwart herzustellen. Einen Eindruck von Diana Policarpos Sound-Installationen vermitteln die Bilder unten sowie dieses Video von einer Ausstellung in Bielefeld.

Wir haben Diana Policarpo ein paar Fragen geschickt, unter dem Bild sind ihre Antworten.Wie bist auf auf Johanna Magdalena Beyer aufmerksam geworden?

Vor ein paar Jahren habe ich eine Platte gekauft, die 1977 von New World Records veröffentlicht wurde – eine Compilation namens ”New Music for Electronic & Recorded Media – Women in Electronic Music“. Das erste Stück darauf ist ”Music of the Spheres“, komponiert von Johanna M. Beyer und ich mochte es nach dem ersten Hören. Ich war super fasziniert, dass diese Komposition von 1938 war und es das erste Stück von einer Frau mit elektronischen Instrumenten ist. Es wurde vom Electric Weasel Ensemble aufgeführt, aufgenommen von Robert Schumaker und gemixt von dem großartigen Donald Buchla.

Larry Polanski und Amy C. Beal – beides Komponisten und Lehrer in Berkeley, Kalifornien – haben mir dann weitere Informationen zu Beyers Arbeit zukommen lassen. Das war 2015 als ich ein Stipendium bekam und ein Projekt an der Music Division of the Performing Arts Library in New York starten konnte.

Was ist das Faszinierende für dich an Johanna Magdalena Beyer?

Beyers Arbeiten enthalten frühe Formen von Noise, Ambient Drone und verspielten Schnipseln proto-minimalistischer Musik. Das finde ich sehr interessant. Ideen von wechselnden Schalldimensionen und Gedanken über die kosmische Resonanz von Elektrizität haben ihre Arbeit von früh an geprägt. Bei ”Status Quo / Music of the Spheres“ dreht sich alles um die Vorstellung vom Improvisieren und dem Schaffen eine Kontrapunktes der Musik zum Wesen einer Person.

Beyer hatte die Vorstellung vom Menschen als eine Art Zentrum inmitten eines stürmisch wirbelnden Dings. Sie war 50 Jahre alt als sie das Stück vollendete. Es wurde auch bei der Guggenheim-Gesellschaft eingereicht, aber das Management gab ihr keine Chance, es sah in dem Stück ein richtungsloses Durcheinander, das aus der Feder einer Frau ohne genügend Fähigkeiten kam. Sie war eine herausragende Lehrerin und Komponistin, nur fehlten ihr die Möglichkeiten, ihre Arbeit zu zeigen oder aufführen zu lassen.

Nach dieser Erfahrung legte Beyer das Stück beiseite und führte ihre orchestrale Arbeit fort. Das war eine Oper über das Universum, überirdische Bewegungen, verschiedene Kulturen und über ihr Leben, das zu der Zeit von einer ständigen Krankheit und geopolitischen Bedenken geprägt war. Fragen zur Globalisierung, Produkten und Zirkulationen sind bereits tief verwurzelt. Beyer lebte in einer Gemeinschaft mit Künstlern und Aktivisten, die der Mittelpunkt ihres Lebens und aller Aktivitäten war.

Darüber hinaus ist ”Music of the Spheres“ ein Konzept, das auf Pythagoras und seiner kaum erwähnten Frau Theano, die selbst Dichterin und Musikerin war, beruht – sie hatten eine vollständige Kosmologie rundum ihre Wahrnehmung der Weltvibration ausgearbeitet. Plato beschrieb es als Musik die von Sirenen kommt aber von Menschen nicht wahrgenommen wird. Andere Denker wie Johannes Kepler und Dane Rudhyar, der Beyers Lehrer in New York war, waren ebenfalls von diesen Theorien inspiriert, die sich auf die alte Idee der Harmonie als idealer Basis für moderne Kompositionsformen und der dynamischen Symmetrie der Natur.Warst du auf den Spuren von Beyer in Leipzig unterwegs?

Seit der Veröffentlichung der ersten Forschungen zu Beyer von John Kennedy und Larry Polanski im Magazin The Musical Quarterly haben nur wenige Leute die Arbeit an Beyers biografischen Skizzen, und ihrem kompositorischen Werk weitergeführt.

Das Frog Peak / Johanna Beyer Projekt hat in Eigenregie 22 Editionen mit ihren Kompositionen veröffentlicht – Solo, Kammermusik, Percussion, orchestrale und chorale Musik. Alles gewissenhaft mit Notizen und versehen Faksimile-Nachbildungen ihrer handschriftlichen Manuskripte. Ich durfte ein paar der Kopien und Dokumente sehen, die ein wenig mehr über das Leben von Beyer in Leipzig erzählen. Aber es gibt viele Löcher zwischen ihrem Leben vor der Emigration und dem ersten Jahrzehnt in den USA.

Was erwartet uns in deiner Ausstellung?

”Dissonant Counterpoint“ für den KV in Leipzig ist spezifisch auf den Ort ausgelegte Installation mit neun Audio-Kanälen und Licht- und Mixed Media-Skulpturen – sie alle verbinden historische Fragmente mit eigenen Kompositionen von mir.

Die Zusammenstellung der Elemente unterstützt das das theoretische Material, das die Ausstellung auch mit einbindet – die Forschung des Beyer-Archivs in New York etwa, zusammen mit dem Versuch, die Originalpartitur der politischen Oper nachzuempfinden. In gewisser Weise sind sie darauf ausgelegt, den Versuch zu vereiteln, revolutionäre Bedingungen vorzuschreiben. Es wird auch eine Publikation zur Ausstellung von Gloria Glitzer geben.


Dissonant Counterpoint
Diana Policarpo
Kuratiert von Anna Jehle + Juliane Schickedanz

Eröffnung: 09. November 2017, 19 Uhr
Laufzeit: 10. November – 30. November 2017

KV – Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig
www.kunstverein-leipzig.de
Kolonnadenstrasse 6
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Di 18—22
Do 16—19
Fr 16—19
Sa 14—18

Foto-Credits:
Porträt Diana Policarpo: Yann Gibert
1. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, The Feminist Rock Salt (to Linda Benglis), 2015, Installationsansicht, W139, Amsterdam
2. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, Beating Back Darkness, 2014, Installationsansicht Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
3. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, Sun in Cancer, 2016, Installationsansicht lAb Bielefeld

Drum and Bass Reloaded

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Aua Aua Ü30-Partys. Normalerweise gibt es keinen Grund, darüber zu berichten, außer sie entstehen so authentisch aus einer Underground-Szene heraus, wie bei der Drum and Bass Reloaded-Reihe.

Irgendwie wirkte es wie ein neckischer Spaß als 2013 zum ersten Mal zur Drum and Bass Reloaded-Nacht eingeladen wurde. Da durften von den lokalen DJs nur Tracks aus den Neunzigern und frühen 2000ern gespielt werden. Der Spaß und Zulauf war so enorm, dass sich daraus ein wichtiges jährliches Treffen der Leipziger Breaks-Szene entwickelt hat – auch für die U30-Raver. Doch die Reihe möchte sich nicht mehr nur in der Nostalgie suhlen und vergrößert sich erstmals in Institut fuer Zukunft. Was es damit auf sich hat, erzählen zwei der Veranstalter, Booga und Derrick, im Interview.

Im Techno gibt es übrigens auch Ü30-Partys: so treffen sich die Altraver zum Betreuten Raven oder den Basis-Erinnerungspartys ein bis zweimal im Jahr.

Ihr beide habt mit euren Aktivitäten die Leipziger Drum & Bass- und Jungle-Szene stark mitgeprägt. Wenn ihr auf die letzten Jahrzehnte zurückblickt: Was waren die Höhen und Tiefen in Leipzig? Und wie seht ihr die gegenwärtige Lage in Leipzig?

Booga: Meine Highlights waren ’97 und ’99 Kemistry (r.i.p.) & Storm als Team im Conne Island erleben zu können, 2001 DJ Marky und Stamina MC in der Tangofabrik zu veranstalten, jede Nacht mit Marcus Intalex (r.i.p.) und die Local Crew-Sausen der breaks.org Zeit von 2001-2003. Die Drum and Bass Reloaded Veranstaltung war gewissermaßen auch eine Reaktion auf die seit zehn Jahren merklich abkühlende Landschaft für das Genre. Außerdem sind Ü30-Veranstaltungen bekanntermaßen der Hit, da war eine Oldschool-Drum & Bass-Party überfällig.

Derrick: Da stimme ich Booga zu, auch wenn die vielbeworbenen Ü-30-Veranstaltungen alles andere als der Hit sind. Meine Drum & Bass-Highlights der letzten Jahrzehnte in Leipzig waren die Jungleistic-Rave-Serie im Conne Island Ende der 90er Jahre gefolgt von der Fridaylub-Serie in der Distillery – u.a. mit Dissident Sound aus Marseille.

Dazu auch der DnB Soudclash 2007 im Conne Island, Live-Drum & Bass Events wie Jojo Mayers Nerve 2004, Ulan-Bator-Geburtstage, wie der mit MC TC Izlam, Demolition Man und Dyer, breaks org im Island – die Liste ist lang.

Tiefen für die Leipziger Drum & Bass Szene sah ich in der Vergangenheit vor allem im Location-Mangel. Über einige Jahre hinweg gab es weniger als drei Locations, die sich für diesen Sound eigneten. Auch die Qualität der Anlagen fand ich lange Zeit ungenügend. Eine PA, die für House, Techno oder Bandmusik funktioniert, ist selten für Subbässe, wie sie Drum & Bass oder Dubstep strapazieren, geeignet.

Glücklicherweise hat sich beides in den letzten fünf Jahren verbessert. Es gibt spannende neue und reaktivierte alte Locations.

Und dass Bass-Musik vom Abbilden tiefer Bässe lebt, ist bei den meisten Soundtechnikern der Stadt auch angekommen.

Mehr noch: Eigenständige Soundsystem-Crews wie Plug Dub, Bssmssg, 2 Guys 1 Dub oder Bass Culture Audio gestalten Leipzigs Bass-Musik-Szene aktiv mit. Da wird viel Zeit, Geld aber vor allem Liebe zum Sound investiert.

Der Hype um Drum & Bass, wie wir es Ende der 90er bis Anfang 2000 erlebt haben, ist vorbei. Doch die Leipziger Bassmusik-Szene ist mit vielen neuen und einigen alten Bassheadz nach wie vor sehr aktiv und engagiert.Mit Juke, Footwork und Halfstep liegen die wesentlichen neuen Einflüsse im Uptempo-Bereich ja auch schon wieder ein paar Jahre zurück. Wo finden aus eurer Sicht derzeit die spannendsten Entwicklungen statt?

Booga: Vor der Haustür geht es los: Alphacut, Break The Surface, Boundless Beatz, Junglelivity, Defrostatica – das sind Labels, die sich kümmern und für Talente sehr offen sind und auch inhaltlich die Bandbreite von Drum& Bass aufzeigen. Auf Crew-Seite gibt es mit 2 Guys 1 Dub, Dub Logic, EaseUp und BreakOut gewissermaßen die zweite Generation.

Das gilt auch für die Veranstalterseite: Dark Drum & Bass Convention, die legendäre Bassmæssage, die 3Takter-Partys, die Impact-Reihe, die Defrostatica-Nächte, die Global Space Odyssey – nur um einige zu nennen. Wenn man da hingeht, bekommt man sehr viele spannende Entwicklungen mit.

Derrick: Für Leipzig stimme ich dem zu was Booga sagt. Was die spannendsten Style-Entwicklung angeht finde ich aktuell Releases von Labels wie Cosmic Bridge, Metalheadz, Amar und von Künstlern wie Amit, Dub Phizix, Kabuki, DJ Madd, Om Unit oder J:Kenzo spannend. Zwischen 160 und 170 BPM passiert produktionstechnisch in Sachen Bassmusik im Moment einiges.

Drum & Bass Reloaded wird diesmal im IfZ statt im Conne Island zu Gast sein. Wie kam es dazu und was wird den Besucher erwarten?

Booga: Im Kern ist Drum and Bass Reloaded ein erfahrener und liebevoller Blick zurück auf fantastische Hymnen und unterschätzt-rotzige Banger aus allen Spielarten von Amen über Jungle bis Tech-Step seit Beginn der frühen ’90er.

Wir haben die Drum and Bass Reloaded-Idee verfolgt, weil es in meiner Generation und auch in der nächsten Generation viele Menschen gibt, die großen Bock auf Klassiker über eine dicken Anlage haben. Das Format gab es so noch nicht und die Leute aus den alten Crews Ulan Bator, Rolling Sounds, Alphacut, Repertoire und Cuba Crew haben dann einfach 2013 losgelegt.

Konnte ja keiner ahnen, dass das publikumsmäßig so einschlagen würde.

Der Grund für den Location-Wechsel ist die seit langem gewünschte Erweiterung des Oldschool-Konzepts um neuere Drum and Bass-Musik. Wir können im IfZ drei Floors nutzen. Auf dem großen Floor wird das Kernkonzept mit Oldschool Drum & Bass fortgeführt.

Nun wollen wir aber auch die Chance nutzen, die Oldschool-Aficionados auf neue, geile Entwicklungen im Drum & Bass aufmerksam zu machen. Eine Konzeptaufweichung Oldschool und Newschool auf einem Floor schien uns keine gute Idee dafür. Also haben wir uns umgeschaut und mit dem IfZ einen Partner gefunden, der neben dem Oldschool-Floor einen weiteren Floor für aktuellen Drum & Bass und noch einen Barfloor für Breakbeat-Tunes mit weiterem Tempospektrum bieten konnte.

Derrick: So ist es. Das IfZ verfügt auf dem Hauptfloor außerdem über eines der besten Soundsyteme Leipzigs. Das Kirsch-Audiosystem macht richtig Bass aka Spass. Wer immer schon mal herausfinden wollte, wie 20 Jahre alte Oldscool-Jungle-Basslines sich 2017 auf einem High-End-Soundsystem anfühlen – am 21.11. ist Eure Chance.Vier Jahre Drum & Bass Reloaded: Gab es besondere Momente, die euch in Erinnerung geblieben sind? Oder bestimmte Tunes, die immer noch Gänsehaut erzeugen?



Booga: Vor zwei Jahren haben CFM und Francis ein Back-to-back-Set gespielt, das von der Auswahl der Tunes und dem Aufbau des Mixes dramaturgisch komplett auf den Punkt war – die haben hart mit meinen Gefühlen gespielt.

Eine Mischung aus ”ich will einen Rewind“ und ”um Himmelswillen, lass die einfach immer weiter spielen“. Dann gibt es Full Contact, zu dem gehört quasi Bill Rileys ”Closing In“, keiner mixt wie Derrick Ganja Kru ”Super Sharp Shooter“ und ich habe eine böse Schwäche für John Bs ”Pressure“. Ich bin sehr gespannt, wie die ganzen Leute auf die IfZ-Anlage reagieren werden und welche neuen Hits auf dem Newschool-Floor entstehen. Lasst uns das mal rausfinden.

Derrick: Besondere Reloaded-Momente gab es so viele wie DJs und Reloads. Besonders erinnere ich mich aber an die Freude zu sehen, wie sich Soundkultur in Leipzig entwickelt hat. Nämlich wenn „alte“ Drum & Bass-Fans (30+) mit jungen Ravern und Bassheadz gemeinsam feiern. Die Energie und Euphorie aus der Golden Era des Drum & Bass kam zurück auf die Tanzfläche – Reloaded!

Außerdem: 2016 um 23:30Uhr – die 100Meter-Menschenschlange im strömenden Regen vor dem Conne Island. Meine perönlichen Gänsehaut-Tunes nach wie vor sind: ”Can’t Punish Me“ von Dom & Roland und natürlich ”Beneath The Mask“ von  Makai alias Kabuki & Mainframe.


Drum and Bass Reloaded 2017 / 21.11.2017 / Institut fuer Zukunft

Oldschool Floor
MCs: Amon & Phowa

Snoopy / Ulan Bator
Malcolm / Downtown Lyrics
Audite / Boundless Beatz
CFM / Repertoire
Derrick / Ulan Bator
Full Contact / Downtown Lyrics
Tronic / Nasdia

Future Floor – DnB Zeitgeist

Mary J / XXX
2 Guys 1 Dub
Heatwave / Dublogic
Madera / VariFocus
Booga / Defrostatica
Conscious Mind / ease up
Plastiks / Blackhill Production

Breakbeat floor – Wurzeln & Ausläufer

Tina / Kords + Kajal
Donis / Ilses Erika

Two Play To Play – Auftakt – Interview mit Martin Kohlstedt

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Klassik und freie Szene, U und E – die neue Reihe ”Two Play To Play“ möchte Brücken schlagen und bringt Musiker aus verschiedenen Sphären zusammen. Wir begleiten das Projekt und haben einführend mit Martin Kohlstedt gesprochen.

Bisher brachte die Audio Invasion neue Perspektiven aus Pop und Elektronik ins Gewandhaus. Doch das Kuratorenteam dahinter wollte einen neuen Raum für den gegenseitigen Austausch schaffen, der länger als eine Nacht anhält. So etwas lässt sich jedoch nicht von Heute auf Morgen planen, vor vier Jahren keimte die Idee auf, dann wurde sie in den auf Jahre hinaus geplanten Gewandhaus-Kalender eingetaktet.

In dieser Spielzeit ist es nun soweit: ”Two Play To Play“ geht in die erste Runde. Die Reihe bringt Musikerinnen und Musiker des Gewandhauses und der freien Szene zusammen und lässt sie gemeinsam ein Stück entwickeln, das am Ende uraufgeführt wird. Das erste Experiment wagen der GewandhausChor mit seinem künstlerischer Leiter Gregor Meyer sowie der in Weimar lebende Pianist Martin Kohlstedt.

Das Clash-Setting ist durchaus spannend: Hier ein semiprofessioneller Chor mit langer Tradition und einem experimentierfreudigen Leiter, dort ein emotional improvisierender Solitär, der vor wenigen Tagen erst sein drittes Album ”Strom“ veröffentlicht hat. Was für Reibungen und Überschneidungen solch eine Zusammenarbeit erzeugen kann, lässt sich jederzeit mitverfolgen. Die Reihe ist keine Blackbox – mit einem Blog, öffentlichen Proben und einem Künstlergespräch auf der Bühne ist das Publikum nahe an der Entwicklung dran.

Und auch wir sind dabei: frohfroh ist Medienpartner von ”Two Play To Play“ und begleitet die Reihe über die gesamte erste Spielzeit. Wir sind bei den öffentlichen Proben dabei und berichten natürlich auch von der Uraufführung am 8. Juni 2018. Zum Auftakt haben wir mit Martin Kohlstedt gesprochen.Kam die Anfrage aus dem Gewandhaus für dich überraschend – oder gab es schon einmal Berührungspunkte mit einer Institution der klassischen Musik?

Überraschend ist das richtige Wort. Ich fühlte mich erstmal wie vor einem weißen Blatt Papier, als die Anfrage kam. Ich konnte mir auf Anhieb viel vorstellen und auch ganz viel nicht. Ich war erstmal hin und her geworfen und wusste gleichzeitig, was es wohl für eine Arbeit wird, wenn ein intuitiver Kopf auf die hoch perfektionierte Klassik trifft. Wie das miteinander reagieren kann – ob es das will. Es ist ein sehr schöner Moment gewesen, als ich Gregor kennenlernen durfte. Er hat mich in Weimar besucht und da war alles ziemlich schnell auf einem guten Kurs, weil ich gemerkt habe, dass der Gewandhauschorleiter ein eigenes Vokabular hat, bei dem auch ich mit meiner intuitiven Art anknüpfen kann. Da wurde die perfekte Brücke zwischen mir und dem gesamten Chor geschlagen.

Es gab also noch keine Zusammenarbeit mit anderen Häusern oder Ensembles?

Ich habe natürlich schon in vielen klassischen Häusern gespielt, wahrscheinlich einfach aus dem Grund, weil ich am Piano sitze. Und da haben sich schon viele solche Cross-over-Geschichten – wenn man das mal so hässlich ausdrücken darf – ergeben. Aber es gab tatsächlich noch nicht den richtigen Ansatz. Im Iran habe ich schon einmal gemeinsam mit klassischen Komponisten gespielt, aber die Arbeit mit einem Chor war bisher nur ein filmmusikalischer Traum.

Wie war das Gefühl, als das Gewandhaus anfragte – war da auch eine erdrückende Ehrfurcht dabei?

Ich habe es eigentlich als Ehre empfunden. Ich war sehr glücklich, dass ich dafür ausgewählt wurde. Vor zwei Jahren hatte ich zur Audio Invasion im Hauptsaal gespielt – scheinbar hat das etwas hinterlassen, so dass dieser Gedanke zustande kam, gemeinsam das Publikum vom Gewandhaus ein Stückweit zu verjüngen. Man liefert quasi das Symbol zwischen den Welten und das fand ich ganz schön.Es gibt zur ”Two Play To Play“-Reihe einen Blog, der eure Stationen dokumentiert. Im Interview nach dem ersten Treffen mit Gregor meintest du, dass du froh warst, dass du bei ihm nicht erst ”klassische Betonwände“ einreißen musstest. Was sind für dich ”klassische Betonwände“?

Man muss schon sagen, dass der allgemeine Klassiker ein wahnsinnig perfektionierter Handwerker ist, der in einem hierarchischen, oft auch unfreien System abliefern muss. Das ist keine Haltung von mir, das ist die harte Linie des Klassikers, um in täglicher Übung auf den perfekten Punkt hinzuarbeiten. Ich kultiviere genau das Gegenteil und das kann natürlich nur Reibung erzeugen. Ich versuche absichtlich zu vergessen, worum es beim Musikmachen geht und lasse es live völlig improvisiert aufeinander klatschen, spiele teilweise bis hin zum Unsauberen und versuche das Scheitern zu provozieren.

”Klar, da gab es Bedenken – und die gibt es immer noch.“

Mal sehen wie es ist, das erste Mal gemeinsam in der Chorprobe zu stehen. Mit Gregor selbst war es bisher eine total schöne Sache. Wir haben uns von Anfang an auf Augenhöhe erwischt und geben Fifty-Fifty in das Projekt hinein. Fifty-Fifty Partituren und Freiheit klatschen aufeinander. Wir sind guter Dinge, aber es sind trotzdem noch 70 Menschen daran beteiligt, die ausführen – und da bin echt gespannt, wie das funktioniert.

Bisher gab es nur die Konzeptionstreffen mit Gregor oder hast du auch schon mit dem Chor sprechen können?

Es gab noch kein privates Sprechen mit dem Chor, ich habe ihn live im Gewandhaus gesehen und mich von diesem Bild erdrücken lassen und die Ehrfurcht in mich hineinfließen lassen. Im Dezember werden wir sicherlich das erste Mal aufeinandertreffen. Gregor und ich wollten vorher aber erstmal eine gemeinsame Richtung entwerfen und mit einer Attitüde auftreten, damit das nicht im Sande verläuft. So schnell kommen 70 Leute ja nicht auf einen Punkt.Du arbeitest eher intuitiv und aus Emotionen heraus, der Gewandhauschor braucht dagegen viel Struktur – wie gehst du aktuell in der Konzeption damit um? Wie lässt sich das vereinbaren?

Die Arbeit besteht genau darin, wie man die Partituren so schreiben kann, dass es Formeln mit offenen Variablen sind. Ich hatte den Wunsch, dass man live fühlt, wie lange sich etwas gut anfühlt und wann man in den nächsten Part übergeht. Gregor und ich werden auf der Bühne viel kommunizieren müssen, damit das gut geht.

Wir haben schon viele Stücke von mir mit seinen Ideen verwoben und auch andersherum. Wir lassen teilweise auch ganz intuitive Flächen entstehen. Zum Beispiel Sprachexperimente, wir haben vor, dass es für den Chor freie Aufgaben geben soll. Jeder flüstert dann etwas, was er für richtig hält und dann klingt das wie ein Wind oder ein Meer. Wir versuchen, ein paar Grenzen auszuloten und schauen, was passiert.

Experiment wäre das falsche Wort, weil wir es schon zu einer durchdachten Sache bauen, aber momentan wird noch viel experimentiert. Das ist schön zu sehen, was da gelingen kann und gleichzeitig sagt Gregor: Spiel das doch mal fünfmal hintereinander und dann merke ich, wie sich mein Gehirn dagegen wehrt, weil es die ganze Zeit nach Freiheit strebt. Aber auch andersherum, wenn ich dann meine: Gregor, mach dich doch mal locker, lass das mal laufen. Mit 70 Personen wird das natürlich noch eine ganz andere Aufgabe sein. Aber wir versuchen zu schauen, was in der verfügbaren Zeit an Kompromiss und Improvisation möglich ist.

Es ist auch ein Musterprojekt für die Kompromissbereitschaft. Wie kann man die Balance zwischen Kompromiss und künstlerischen Reibungen halten, ohne dass es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausläuft, der dann vielleicht gar nicht so spannend ist?

Bei 90 Prozent aller mathematisch konzipierten, rational perfekten klassischen Chöre ist es wahrscheinlich so, dass es nicht viel zu ruckeln gibt. Jetzt habe ich glücklicherweise Gregor Meyer gefunden, ein Mensch, der es irgendwie geschafft hat, auf der einen Seite, genau das wie der Hirte anzuleiten und zugleich ein normales zeitgeistiges Vokabular zu pflegen mit der man auch diese Offenheit nutzen kann. Und mit dem man bestimmte Dinge ausprobieren und der auch ein bisschen mitscheitern kann. Das ist personenbedingt, der Chorleiter ist dabei einfach eine wichtige Position zwischen mir und dem Chor.Kannst du aus dem bisherigen Verlauf abschätzen, was dich aus der Klassik so inspiriert, dass du es für deine künftige Arbeit vielleicht selbst aufgreifst?

Was ich an der festen Notenform schon immer faszinierend fand, ist die extreme Verlässlichkeit, die damit einhergeht. Ich fahre eigentlich immer wie ein Irrer mit einem Bus und lenke das Ding von links nach rechts und das kann auch mal in den Graben fahren. Aber wenn feststeht, in welcher Form ich zu spielen habe und ich das auswendig wiedergeben kann, dann ist da viel Unterbewusstsein aktiv. Die Hände wissen in dem Moment sowieso was sie tun sollen. Und dieser automatische Ansatz es wiederzugeben, ist eine ganz andere Perspektive auf die Musik. Da hat sich vorher schon jemand Gedanken darüber gemacht. Ich muss nicht mehr ins kalte Wasser und kann ganz penibel auf gewisse Dinge in der Wiederholung achten.

Manchmal bin ich dadurch etwas rausgezoomter. Ich finde, gerade dieser Wechsel zwischen dem tief eintauchen und rauszoomen hat eine richtige Sucht hervorgerufen. Es macht völlig Sinn, teilweise die Dinge festzuhalten, sie als Floskel wiederzugeben, sie dann aber auch von außen zu betrachten. Wenn man einfach das spielt, was da steht, wird man kurz vom kreativen Irren zum Handwerker und Programmierer. Das ist ein spannender Ansatz gerade für mich, der mich auch fördert.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit bisher vorstellen?

Wir haben die Guides von meiner Seite, das sind vorgebaute Instrumenals, die wir mit in die Proben nehmen werden. Gleichzeitig haben wir auch schon Partiturfetzen, die momentan noch als Patterns oder Legosteine herumliegen, weil die Länge noch nicht feststeht. Dann schauen wir mit der ersten Probe gemeinsam, was für Längen das annehmen kann und ob wir noch unfreier werden müssen, damit das alles aufführbar ist.

”Momentan sind wir guter Dinge, dass wir ein Fifty-Fifty-Verhältnis hinbekommen, aber wir werden sehen. Ich bin schon sehr aufgeregt.“

Du hast vorher mit Marbert Rocel und Karocel in einem Bandkontext gespielt, lässt sich diese Bandzusammenarbeit mit der Arbeit an so einem Projekt vergleichen?

Bei Karocel war sehr viel improvisiert, bei Marbert Rocel sehr viel konzipiert. Das ist vielleicht ein guter Vergleich. Während wir bei Karocel das Laufenlassen gepflegt haben, haben wir bei Marbert Rocel an eine Songstruktur gedacht. Das kann man vielleicht in einer kleineren Dimension auf dieses Projekt übertragen, nur dass es eben noch einmal 600 Kilometer weiter entfernt ist. Die eine Seite bekommt Angst, wenn Freiheit im Spiel ist, die andere Seite bekommt Angst, wenn ein Konstrukt im Spiel ist.

Jetzt nähert man sich und kommuniziert darüber. Es ist nicht so, dass man da blind in dem Feld des anderen ist. Aber allein die Zählweisen: Aus der elektronischen Musik kommen wir mit sehr geraden Zählzeiten, die Klassik kommt dagegen mit runden Zählzeiten. Allein das ist schon sehr anders. Aber es ist richtig: In einer Band ist dieses aufeinander Achten und Kommunizieren auch vorhanden.

Du spielst dieses Jahr wieder auf der Audio Invasion, der Auftritt markiert als Porträtkonzert den öffentlichen Beginn des Projektes. Bereitest du dich auf das Konzert noch einmal anders vor, als bei den sonstigen Auftritten?

Das neue Album ”Strom“ spielt natürlich eine große Rolle. Seitdem ich nun auch die elektronischen Instrumente auf meinen Aufnahmen pflege, hat es auf jeden Fall noch einen neuen Ansatz bekommen. Es gibt nicht mehr nur dieses eine Universum Klavier für mich, sondern ich habe es ausgeweitet. Bei der Audio Invasion werde ich mich noch einmal im kompletten Alleingang vorstellen. Ich bin morgens 1 Uhr im Hauptsaal und kann den dann langsam auffüllen. Und vielleicht sitzen mir auch schon ein paar der Chorleute vor mir und ich kann mich ihnen damit vorstellen.


”Two Play To Play“ – Termine 2017/2018:

25. November 2017 – Porträtkonzert Martin Kohlstedt im Rahmen der Audio Invasion
12. Dezember 2017 – Gespräch Gregor Meyer & Martin Kohlstedt
24. Januar 2018 – Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
14. März 2018 – Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
11. April 2018 –Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
6. Mai 2018 – Konzert im öffentlichen Raum
8. Juni 2018 – Uraufführung, Gewandhaus Mendelssohn-Saal


Foto-Credits: Patrick Richter (Bild Martin Kohlstedt), Christian Rothe (Bilder Gregor Meyer und Martin Kohlstedt), Karen Laube (Gewandhaus, Großer Saal)

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